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Kulturschock oder einmalige Führungserfahrung?

China schaffte es bei einer Studie zu den beliebtesten Expat-Ländern in einem Survey Report 2016 gerade auf Platz 55 und war damit Schlusslicht auf der Beliebtheitsskala. Gründe dafür waren nicht zuletzt die im Vergleich zu Deutschland völlig andere Arbeits- und Führungskultur. Das Arbeiten in China als Expat wurde seither nicht attraktiver und spätestens nach Ausbruch der Corona-Pandemie zieht es viele Entsendete aus den über 2.500 deutschen Firmen mit Standorten in China zurück nach Deutschland. Jens G. hat sich mit seiner Familie vor über 4 Jahren der Herausforderung China gestellt. Seit dem arbeitet er dort sehr erfolgreich als Führungskraft und hat seine Entsendung sogar verlängert. Wie er Führung dort (er)lebt und welche einmalige Führungserfahrung China bieten kann, darüber sprach ich mit ihm.

Katja Hommel: Als feststand, dass Sie nach China gehen für drei Jahre, welche kulturellen Stolpersteine hinsichtlich Führung hatten Sie da für sich im Kopf?

Jens G.: Zuallererst natürlich die sprachliche Barriere, Kommunikation und Austausch mit den chinesischen Mitarbeitern und Kollegen. In China herrscht eine andere Führungskultur als in Deutschland, in der asiatischen Kultur wird besonders viel Wert darauf gelegt, dass niemand bloßgestellt wird und somit Probleme nicht direkt angesprochen werden. Ich stellte mir die Frage, ob ich als ausländische Führungskraft meine Themen durchsetzen und dem Thema „Gesichtsverlust“ gerecht werden kann.

Katja Hommel: Wie haben Sie sich vorbereitet, um dem zu begegnen und sich einzustimmen? (Vielleicht auch unabhängig von dem bzw. zu dem, was Ihr Arbeitgeber Ihnen bot?)

Jens G.: Seitens des Arbeitgebers wurde ein zweitägiges interkulturelles Training angeboten, an welchem meine Frau und ich teilnahmen. Ich habe mich zudem im Vorfeld mit der chinesischen Kultur und dem dort vorherrschenden Führungsverständnis auseinandergesetzt, unter anderem durch intensiven Austausch mit Kollegen und Kolleginnen, die bereits in China tätig waren. Grundsätzlich sehe ich mögliche Stolpersteine nicht als Probleme, sondern als Herausforderungen mich selbst weiterzuentwickeln und habe die neue Situation auf mich zukommen lassen. Wenn man aufgeschlossen und positiv den Menschen begegnet, ist es meines Erachtens überall auf der Welt möglich produktiv und wertschätzend zu arbeiten und zu leben.

Katja Hommel: Eine weise Einstellung zu Ihrem Vorhaben Jens. Wie sah dann das Arbeiten als Führungskraft in der chinesischen Realität aus? Welche Überraschungen gab es trotz offener Haltung für Sie?

Jens G.: Die chinesische Realität stellte sich SEHR offen und kommunikativ dar. Eine klare direkte Ansprache meiner MitarbeiterInnen und KollegInnen war wichtig und notwendig, um die Arbeitsprozesse voranzubringen. Was ich schnell gelernt habe war, dass

ein „Meiyouwenti“ 没有问题 als Antwort, was so viel heißt wie  „kein Problem“, meist immer ein Problem bedeutete.

Ich lernte darauf hin schnell, aktiv nachzufragen sowie zu hinterfragen. Mehr als ich es gewohnt war,  musste ich klare und eindeutige Vorgaben machen, damit die Themen bearbeitet wurden. Der chinesische Mitarbeitende erwartet von seiner Führungskraft die klare Vorgabe, wie eine Aufgabe erledigt werden soll. In Deutschland führe ich meine Mitarbeitenden, indem ich sie motiviere eigenständig zu agieren, in China ist es 180 Grad anders herum. Die direkte Kommunikation Chinesisch-Englisch lief meist besser als Chinesisch-Deutsch mittels Übersetzerin. Besonders hervorzuheben ist die Arbeitsmoral der Chinesen, die freiwillig am Wochenende oder späten Abendstunden Projekte erledigen, was ich als sehr beeindruckend empfand.

Katja Hommel: Was sind nun nach über 4 Jahren Ihre größten Leadership-Learnings in der Zusammenarbeit?

Jens G.: In China ist der Teamspirit enorm wichtig. Gemeinsam erreichen wir unsere Ziele, wobei die Zielerreichung, die KPI-Erfüllung die oberste Priorität ist, da nicht zuletzt die Entgelte der chinesischen Kollegen daran gekoppelt sind. Als Führungskraft ist man nicht nur Vorgesetzter,  sondern „laoshi“ 老师 der „Lehrer“. Die Weiterentwicklung und Befähigung der Mitarbeitenden ist eine der großen Aufgaben einer Führungskraft in China und damit eine einmalige Führungserfahrung.

Katja Hommel: Welche Tipps haben Sie für Führungskräfte, die  ihre Expat-Reise nach China noch antreten werden und natürlich ebenso eine einmalige Führungserfahrung erleben sollen?

Jens G.: Den Schritt ins Ausland kann ich jedem nur empfehlen, egal an welchen Standort auf der Welt. Wenn man aufgeschlossen und flexibel bleibt, fällt vieles leichter. Eine gewisse Frustrationstoleranz sollte man mitbringen, denn gerade am Anfang wird es immer wieder zu herausfordernden Situationen kommen. All diese Erfahrungen sind es jedoch wert. Die persönliche Entwicklung und die vielen inspirierenden Menschen, die man kennenlernt, entschädigen für alle Widrigkeiten.

Katja Hommel: Ich danke Ihnen Jens, für diesen kurzen und spannenden Einblick und für den kleinen Exkurs in die chinesische Sprache. Für Sie und Ihre Familie wünsche ich Ihnen alles Gute.

Kulturschock oder einmalige Führungserfahrung